Kosmographie und großräumige Strukturen

Forschungsthemen

Kosmographie, das kosmische Galaxiennetzwerk und Zwerggalaxien im lokalen Universum

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Das Geschwindigkeitsfeld der Galaxien in der Nähe der Lokalen Gruppe.

Bild: Libeskind & Tully, (C) Scientific American.

In der Weite des Weltraums ist die Schwerkraft die einzige wichtige Kraft: Sie hält den Mond in der Umlaufbahn um die Erde, die Planeten in der Umlaufbahn um die Sonne, sie zwingt unsere Sonne auf ihre Bahn um das Zentrum der Milchstrasse und verbindet unsere gesamte Galaxie mit der lokale Gruppe, ein Ensemble aus einigen Dutzend Zwerggalaxien, die unser kosmisches Zuhause definieren. Die Schwerkraft bestimmt die Bewegung der lokalen Gruppe durch den intergalaktischen Raum, wenn sie von den großen benachbarten Galaxien, wie der Radiogalaxie Centaurus A oder der elliptische Riesengalaxie M87 angezogen wird. Die Verankerung unserer kosmischen Koordinaten endet aber nicht an den Rändern der lokalen Gruppe. Die lokale Gruppe selbst ist nur ein Zusammenschluss von wenigen Galaxien, die sich zusammen in Richtung des Virgo-Galaxienhaufens bewegen. Dieser Galaxienhaufen besteht aus etwa 2000 Galaxien, die sich um ein gemeinsames Zentrum bewegen. Bis vor kurzem wurde der Virgo-Haufen als eine natürliche Grenze von dem, was wir als "Heimat" definieren würden, betrachtet. Auf das sich darüber hinaus erstreckende, riesige Universum konnten wir (gravitativ) keinen Anspruch erheben. Neue Studien, die die Galaxienbewegungen (statt nur deren Positionen) ebenfalls in Betracht ziehen, kommen zum Schluss, dass der Virgo-Haufen wiederum nur ein relativ kleines Anhängsel an eine wesentlich größere Struktur ist, die vor kurzem Laniakea getauft wurde. Laniakea selbst ist wahrscheinlich mit dem Shapley Superhaufen verbunden.

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Das lokale Universum wird hier als Ausschnitt der supergalaktischen Ebene gezeigt. Die Dichte- (Farbe) und Geschwindigkeitsfelder (Flusslinien) sind mit Hilfe des Wiener Filters erhaltene Rekonstruktionen der Radialgeschwindigkeiten der CosmicFlow-2 Himmelsdurchmusterung. Diese illustrieren die beobachteten Strukturen der lokalen kosmischen Nachbarschaft bemerkenswert gut.

Bild: Libeskind et al. 2015

Die Vermessung des Universums ist eine schwierige Aufgabe, die Präzisionsinstrumente und fortgeschrittene Techniken erfordert. Wenn die Galaxien photographisch abgebildet und deren genaue Position erfasst wurden, muss man darüber hinaus ihre gegenseitige räumliche Beziehung bestimmen. In dieser Kollaboration bemühen wir uns, fortgeschrittene Methoden zu entwickeln, die beiden Herausforderungen gerecht werden. Auf der einen Seite werben wir Beobachtungszeit für Teleskope wie z.B. des Hubble-Weltraum Teleskops ein, um Bilder von leuchtschwachen Zwerg-Galaxien aufzunehmen. Auf der anderen Seite analysieren wir deren räumliche Verteilung und versuchen zu verstehen, wie das lokale Universum entstand - wie die Zwerg-Galaxien in der Lokalen Gruppe entstanden, und welchen Einfluss das “Cosmic Web” auf Gestalt unserer unmittelbaren kosmischen Umgebung hat. Dazu entwickeln wir Methoden, um das “Cosmic Web” zu charakterisieren und mit unseren kosmischen Koordinaten in Beziehung zu setzen.

Hauptverantwortliche Forscher: Noam Libeskind, Stefan Gottloeber, Matthias Steinmetz, Simon Pfeifer, Chaimonkol Duanchuan (allAIP), Aurelien Valade (Marseilles), Peng Wang (Shanghai), Elmo Tempel (Tartu), David Benisty (Cambridge), Yehuda Hoffman (Jerusalem), Brent Tully (Hawaii), Daniel Pomarede (Saclay).

Nahfeld Kosmologie mit Simulationen des lokalen Universums - CLUES

Kosmologische Simulationen stellen mittlerweile das Standardwerkzeug dar, um Theorien über das Strukturwachstum und die Galaxienbildung im nichtlinearen Regime zu überprüfen. Typischerweise werden statistische Tests durchgeführt. Dabei wird ein kosmologisches Modell mit einem Leistungsspektrum der Dichtefluktuationen ausgewählt, um eine (Gaußsche) zufällige Realisierung des primordialen Dichtefeldes zu rekonstruieren. Numerische Simulationen berechnen dann das Anwachsen dieser Störungen von hohen Rotverschiebungen bis zur heutigen Zeit.

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Verteilung der Dunklen Materie im lokalen Universum in zwei Simulationen, die bedeutende Strukturen um uns herum zeigen. Wir zeigen eine Simulation mit 160 Mpc/h Seitenlänge (großes Bild) und mit 64 Mpc/h Seitenlänge (kleines Bild).

Bild: S. Gottlöber, G. Yepes, A. Klypin, A. Khalatyan; CLUES-Kollaboration

Obwohl diese Methode sehr erfolgreich ist, kann sie keine spezifische kosmologische Strukturen erzeugen, da sie rein statistischer Natur ist. Zum Beispiel hat die kosmische Vermessung des örtlichen Universums eine wohl-definierte "Landschaft" mit dem Virgo- und Coma-Haufen, dem großen Attraktor, der großen Mauer, der lokalen kosmischen Leere und dem Shapley-Superhaufen gefunden. Darüber hinaus gibt es zu den bereits beschriebenen kosmografische Merkmalen weitere dynamische Eigenschaften - den Dipol im kosmischen Mikrowellenhintergrund und unsere mittlere kosmische Pekuliargeschwindigkeit - die einer Erklärung bedürfen. Eine Lösung besteht darin, die Anfangsbedingungen in einer Weise einzuschränken, die die Simulation dazu zwingt, auf eine vorgegebene Eingabe (nämlich das heutige lokale Dichte- und Geschwindigkeitsfeld) zu konvergieren. Dies wird durch eine Methodik erreicht, die als "eingeschränkte Simulationen" bekannt ist. Neben anderen definiert die CLUES-Kollaboration den Stand der Wissenschaft in diesem Bereich und stellt sich das Ziel, solch eben beschriebene Anfangsbedingung für hydrodynamische Simulation der lokalen Gruppe zu erzeugen.

Um die Anfangsbedingungen für realistische Simulationen der lokalen Gruppe zu verbessern, ergänzen wir die Nebenbedingungen des Anfangswertproblems um Dichtemessungen aus Rotverschiebungsdurchmusterungen von Galaxien, zusätzlich zu radialen Pekuliargeschwindigkeiten der Cosmic Flows Himmeldurchmusterung. Es wird erwartet, dass dies die Massen von nahen Galaxienhaufen soweit erhöht, dass diese mit den beobachteten Daten übereinstimmen werden. Dies sollte zu einem verbesserten Verständnis der Entstehung der lokalen Gruppe und der Struktur unserer kosmischen Umgebung führen, dem “Heiliger Gral” der Nahfeld Kosmologie.

Hauptverantwortliche Forscher: Noam Libeskind (AIP), Stefan Gottloeber (AIP), Chaimongkol Duanchaun (AIP), David Benisty (Cambridge), Elmo Tempel (Tartu), Arianna Di Cintio (Tenerife), Matthias Steinmetz (AIP), Peng Wang (shanghai), Gustavo Yepes (Madrid), Yehuda Hoffman (Jerusalem), Brent Tully (Hawaii), Chris Brook (Tenerife)

Hochaufgelöste gasdynamische Simulationen der unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft - das HESTIA Projekt

Wir führen gerade hochaufgelöste magneto-hydrodynamische Simulationen der Milchstraße und der Andromeda Galaxie, welche in ihre lokale Umgebung eingebettet sind, im HESTIA Projekt durch (High-resolution Environmental Simulations of The Immediate Area). Das Projekt benützt das Auriga Galaxienentstehungsmodell des AREPO Codes, welches eine große Anzahl von physikalischen Prozessen “sub-grid” beschreibt, wie das Wachstum von schwarzen Löchern, Sternentstehung, und verschiedene Varianten von Feedback. Dem Projekt wurden 30 Millionen Stunden Rechenzeit auf der SUPERMUC-Rechner des Höchstleistungsrechenzentrum LRZ/Garching zugeteilt. Wir planen, verschieden geschachtelte Simulationsfolgen mit ansteigender räumlicher Auflösung durchzuführen, um den Effekt unserer lokalen kosmologischen Umgebung auf die Entstehung der lokalen Gruppe zu verstehen. Dazu beginnen wir mit etwa 500 grob-aufgelösten Simulationen, woraus wir die geeignetsten auswählen, um diese mit immer höherer Auflösung simulieren. Schließlich werden wir daraus wieder die fünf besten Objekte mit der höchsten Auflösung (MZelle ∼ 105 M) simulieren.

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Gasverteilung in einer Simulations der Lokalen Gruppe. Das HESTIA Simulationsprojekt wird dieselbe Umgebung simulieren, jedoch mit verbesserter Physik und höherer Auflösung.

Bild: CLUES-Kollaboration

Mit diesem Projekt verfolgen wir eine Vielzahl von wissenschaftlichen Zielen, insbesondere galaktische (Chemo-)Dynamik, Eigenschaften der Zwergsatelliten-Galaxien der lokalen Gruppe, bis hin zur Entstehung des galaktischen Magnetfeldes und welche Auswirkungen dieses auf die Ausbreitung von ultrahochenergetischer kosmischer Strahlung hat. Ein Vergleich mit den 30 simulierten Auriga Galaxien, welche nach einem strengen Isolationskriterium ausgewählt wurden, wird es uns ermöglichen, den Effekt der Andromeda Galaxie und der Umgebung der lokalen Gruppe auf die Entstehung der Milchstrasse und ihrer Satellitensysteme zu quantifizieren. Wir erwarten, dass dieses Projekt eine exzellente Datenbasis für detaillierte Vergleiche mit gegenwärtigen großen Himmelsdurchmusterungen (Gaia, RAVE, APOGEE, 4MOST, …) bereitstellen wird.

Hauptverantwortliche Forscher (in alphabetischer Reihenfolge): Tobias Buck (AIP), Christina Chiapinni (AIP), Arianna Di Cintio (Tenerife), Stefan Gottloeber (AIP), Rob Grand (Liverpool), Yehuda Hoffman (Jerusalem), Alexander Knebe (UAM), Noam Libeskind (PI, AIP), Ivan Minchev (AIP), Rüdiger Pakmor (MPA), Christoph Pfrommer (AIP), Martin Sparre (AIP), Volker Springel (MPA), Matthias Steinmetz (AIP), Elmo Tempel (Tartu), Mark Vogelsberger (MIT), Peng Wang (Shanghai), Gustavo Yepes (UAM)

Letzte Aktualisierung: 23. Januar 2024