Erstmals drei supermassereiche Schwarze Löcher im Kern einer Galaxie entdeckt

Hubble-Bild der irregulären Galaxie NGC 6240 mit einem Zoom-In auf ihre zentrale Region. Dieses zeigt Muse-Daten von drei Schwarzen Löchern.

Die irreguläre Galaxie NGC 6240. Neue Beobachtungen zeigen, dass sie nicht zwei, sondern drei supermassereiche Schwarze Löcher in ihrem Kern beherbergt. Das nördliche Schwarze Loch (N) ist aktiv und war zuvor bekannt. Das vergrößerte neue Bild mit hoher räumlicher Auflösung zeigt, dass die südliche Komponente aus zwei supermassereichen Schwarzen Löchern (S1 und S2) besteht. Die grüne Farbe gibt die Verteilung des Gases an, das durch die um die Schwarzen Löcher entstehende Strahlung ionisiert wird. Die roten Linien zeigen die Konturen des Sternenlichts aus der Galaxie und die Länge des weißen Balkens entspricht 1000 Lichtjahren.

Bild: P. Weilbacher (AIP), NASA, ESA, the Hubble Heritage (STScI/AURA)-ESA/Hubble Collaboration, and A. Evans (University of Virginia, Charlottesville/NRAO/Stony Brook University)
21. November 2019 //

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Universität Göttingen und des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) hat erstmals nachgewiesen, dass die Galaxie NGC 6240 gleich drei supermassereiche Schwarze Löcher beherbergt. Die in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlichten einzigartigen Beobachtungen zeigen drei Schwarze Löcher nahe beieinander im Kern der Galaxie. Die Studie weist auf simultane Verschmelzungsprozesse bei der Entstehung der größten Galaxien im Universum hin.

Große Galaxien wie die Milchstraße bestehen typischerweise aus hunderten Milliarden von Sternen und beherbergen in ihren Zentren ein Schwarzes Loch mit einer Masse von einigen Millionen bis mehreren 100 Millionen Sonnenmassen. Die Galaxie mit Namen NGC 6240 wird aufgrund ihrer besonderen Form als irreguläre Galaxie bezeichnet. Bisher gingen Astronominnen und Astronomen davon aus, dass sie durch die Kollision zweier kleinerer Galaxien entstanden ist und deswegen in ihrem Kern zwei Schwarze Löcher beheimatet. Die Vorgängergalaxien bewegten sich mit Geschwindigkeiten von einigen 100 km/s aufeinander zu und befinden sich immer noch im Verschmelzungsprozess. Das für kosmische Verhältnisse nahe, in allen Wellenlängenbereichen eingehend studierte Galaxiensystem in einer Entfernung von ca. 300 Millionen Lichtjahren galt bisher als Prototyp für die Wechselwirkung von Galaxien.

„Durch unsere Beobachtungen mit extrem hoher räumlicher Auflösung waren wir in der Lage, zu zeigen, dass sich im Zentrum des wechselwirkenden Galaxiensystems NGC 6240 anstatt zwei – wie bisher vermutet – in Wirklichkeit gleich drei supermassereiche Schwarze Löcher befinden“, berichtet der Erstautor Prof. Dr. Wolfram Kollatschny vom Institut für Astrophysik der Universität Göttingen. Jedes der drei Schwergewichte weist eine Masse von mehr als 90 Millionen Sonnen auf. Dazu befinden sie sich in einer Raumregion von weniger als 3.000 Lichtjahren, d.h. weniger als einem Hundertstel der gesamten Ausdehnung der Galaxie. „Eine derartige Konzentration von drei supermassereichen Schwarzen Löchern wurde im Universum bisher noch nie entdeckt“, ergänzt Dr. Peter Weilbacher vom AIP. „Der vorliegende Fall liefert Hinweise auf die simultane Verschmelzung von ursprünglich drei Galaxien mitsamt ihren zentralen Schwarzen Löchern.“

Die Entdeckung dieses Dreifachsystems ist von grundsätzlicher Bedeutung, um die zeitliche Entwicklung von Galaxien zu verstehen. Bisher ist nicht erklärbar, wie sich die größten und massereichsten Galaxien, die wir aus unserer kosmischen Umgebung in der “Jetzt-Zeit” kennen, nur aufgrund normaler Galaxienwechselwirkung und Verschmelzung im Verlauf der vergangenen rund 14 Milliarden Jahre, dem Alter unseres Universums, gebildet haben. „Wenn es jedoch auch zu simultanen Verschmelzungsprozessen mehrerer Galaxien kam, konnten sich die größten Galaxien mit ihren zentralen supermassereichen Schwarzen Löchern wesentlich schneller entwickeln“, fasst Peter Weilbacher zusammen. „Unsere Beobachtungen liefern den ersten Hinweis auf dieses Szenario.“

Für die einzigartigen hochpräzisen Beobachtungen von NGC 6240 mit dem Very Large Telescope in Chile, ein Teleskop, das von der Europäischen Südsternwarte (ESO) betrieben wird, kam der 3D MUSE Spektrograf im räumlich hochauflösenden Modus zusammen mit vier künstlich erzeugten Laser-Sternen und einem adaptiven Optik-System zum Einsatz. Dank der ausgeklügelten Technik erhält man Bilder mit einer Schärfe wie das Hubble Weltraumteleskop, jedoch zusätzlich auch ein Spektrum von jedem Bildpixel. Diese spektroskopischen Untersuchungen waren entscheidend für die Bestimmung der Bewegung und Massen der supermassereichen Schwarzen Löcher in NGC 6240.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die beobachtete, sich anbahnende Verschmelzung der supermassereichen Schwarzen Löcher in wenigen Millionen Jahren auch sehr starke Gravitationswellen erzeugen wird. In absehbarer Zukunft können Signale ähnlicher Objekte mit dem geplanten satellitengestützten Gravitationswellendetektor LISA vermessen und weitere verschmelzende Systeme entdeckt werden.

Weitere Informationen

Originalveröffentlichung

W. Kollatschny, P. M. Weilbacher, M. W. Ochmann, D. Chelouche, A. Monreal-Ibero; R. Bacon, T. Contini: NGC6240: A triple nucleus system in the advanced or final state of merging, Astronomy & Astrophysics, 2019

DOI:  https://doi.org/10.1051/0004-6361/201936540

Pressemitteilung Universität Göttingen

http://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?id=5718

Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) widmet sich astrophysikalischen Fragen, die von der Untersuchung unserer Sonne bis zur Entwicklung des Kosmos reichen. Forschungsschwerpunkte sind dabei kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik sowie die Entwicklung von Forschungstechnologien in den Bereichen Spektroskopie, robotische Teleskope und E-Science. Seinen Forschungsauftrag führt das AIP im Rahmen zahlreicher nationaler, europäischer und internationaler Kooperationen aus. Das Institut ist Nachfolger der 1700 gegründeten Berliner Sternwarte und des 1874 gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, das sich als erstes Institut weltweit ausdrücklich der Astrophysik widmete. Seit 1992 ist das AIP Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.
Letzte Aktualisierung: 30. März 2021