Verborgenes Schwarzes Loch in riesigem Sternhaufen entdeckt

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Zentrum des Kugelsternhaufens NGC 3201, aufgenommen mit dem MUSE-Instrument am VLT der ESO. Der Pfeil zeigt auf den Stern, der durch seine hohe Geschwindigkeit das Schwarze Loch im Zentrum verrät.

Bild: Sebastian Kamann und das MUSE Konsortium
17. Januar 2018 //

Astronomen unter der Leitung der Georg-August-Universität Göttingen und mit Beteiligung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP), haben mit dem MUSE-Instrument der ESO am Very Large Telescope in Chile einen Stern im Kugelsternhaufen NGC 3201 entdeckt, der sich sehr seltsam verhält. Er scheint ein unsichtbares Schwarzes Loch mit etwa der vierfachen Masse der Sonne zu umkreisen – das erste inaktive Schwarze Loch mit stellarer Masse, welches in einem Kugelsternhaufen gefunden wurde, und gleichzeitig auch das erste, das durch den direkten Nachweis seiner Anziehungskraft gefunden wurde. Diese wichtige Entdeckung wirkt sich auf unser Verständnis der Entstehung dieser Sternhaufen, Schwarzer Löcher allgemein und vom Ursprung der Gravitationswellenereignisse aus.

Kugelsternhaufen sind riesige, kugelförmige Ansammlungen von Zehntausenden von Sternen, die die meisten Galaxien umkreisen. Sie gehören zu den ältesten bekannten Sternsystemen im Universum und gehen auf den Beginn des Wachstums und der Evolution von Galaxien zurück. Mehr als 150 Kugelsternhaufen, die zur Milchstraße gehören, sind derzeit bekannt.

Einer dieser Sternhaufen, NGC 3201 im südlichen Sternbild Vela (das Segel des Schiffs Argo), wurde jetzt mit dem MUSE-Instrument am Very Large Telescope der ESO in Chile näher untersucht. Ein internationales Team von Astronomen unter Leitung der Universität Göttingen und mit Beteiligung von Forschern des AIP hat festgestellt, dass einer der Sterne in NGC 3201 mit Geschwindigkeiten von mehreren hunderttausend Kilometern pro Stunde hin- und her geschleudert wird, wobei sich dieses Muster alle 167 Tage wiederholt.

Erstautor Benjamin Giesers von der Georg-August-Universität Göttingen war fasziniert: "Der Stern umkreiste etwas vollkommen Unsichtbares, das eine Masse hatte, die mehr als viermal so groß war wie die Sonne – das kann nur ein Schwarzes Loch sein! Das erste Schwarze Loch in einem Kugelsternhaufen übrigens, das sich direkt über seine Anziehungskraft bemerkbar gemacht hat."

Die Beziehung zwischen Schwarzen Löchern und Kugelsternhaufen ist bedeutsam, aber auch geheimnisvoll. Aufgrund ihrer großen Massen und ihres großen Alters geht man davon aus, dass diese Sternhaufen eine große Anzahl von Schwarzen Löchern mit stellaren Massen erzeugt haben – sie sind im Laufe des langen Lebens des Sternhaufens entstanden, immer dann, wenn massereiche Sterne explodiert und die Überreste in sich zusammengefallen sind.

Das MUSE-Instrument der ESO (u.a. entwickelt und gebaut in Göttingen und Potsdam) bietet Astronomen die einzigartige Möglichkeit, die Bewegungen von Tausenden von weit entfernten Sternen gleichzeitig zu messen. Mit dieser neuen Entdeckung ist es dem Team erstmals gelungen, ein inaktives Schwarzes Loch im Herzen eines Kugelsternhaufens zu entdecken – ein Schwarzes Loch, das sich derzeit keine Materie einverleibt und nicht von einer hell leuchtenden Gasscheibe umgeben ist. Sie konnten die Masse des Schwarzen Lochs durch die Bewegungen eines Sterns ergründen, der durch die enorme Gravitationskraft des Schwarzen Lochs gefangen ist.

Aus den Beobachtungen lässt sich ermitteln, dass der Stern die 0,8-fache Masse unserer Sonne besitzt, während sich für die Masse seines mysteriösen Gegenstücks das 4,36-fache der Masse der Sonne ergeben hat – mit ziemlicher Sicherheit also ein Schwarzes Loch.

Peter Weilbacher, einer der Co-Autoren vom AIP und verantwortlich für die Entwicklung der Datenreduktions-Software von MUSE freut sich: "Die Entwicklung der Detektions-Methoden wurde bereits vor einigen Jahren mit einem Vorläuferinstrument (PMAS) in Potsdam begonnen und hat mit dieser Entdeckung ein spektakuläres Ergebnis erbracht."

Auch historisch gibt es eine interessante Verbindung zu dieser neuen Entdeckung. "Karl Schwarzschild hatte 1915 als Erster eine Lösung der Einstein'schen Feldgleichungen für eine Punktmasse gefunden – damals ein mathematisches Gedankenspiel für das, was wir heute ein Schwarzes Loch nennen. Nach seiner Tätigkeit als Leiter der Sternwarte in Göttingen, wurde Schwarzschild Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam", erklärt Martin Roth die geschichtlichen Zusammenhänge bezüglich der deutschen Partnerinstitute.

Für die Entwicklung von MUSE und die Forschungsarbeiten an den Kugelsternhaufen werden die Institute in Potsdam und Göttingen durch die BMBF Verbundforschung gefördert.

Weitere Informationen

Fachartikel (englisch)

Giesers et al. 2017

ESO-Seite zum MUSE-Instrument am VLT

MUSE | ESO

AIP Seite zum MUSE Instrument

3D Spektroskopie | MUSE

Pressemitteilung, Bilder und Videos der ESO

http://www.eso.org/public/germany/news/eso1802/

Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) widmet sich astrophysikalischen Fragen, die von der Untersuchung unserer Sonne bis zur Entwicklung des Kosmos reichen. Forschungsschwerpunkte sind dabei kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik sowie die Entwicklung von Forschungstechnologien in den Bereichen Spektroskopie, robotische Teleskope und E-Science. Seinen Forschungsauftrag führt das AIP im Rahmen zahlreicher nationaler, europäischer und internationaler Kooperationen aus. Das Institut ist Nachfolger der 1700 gegründeten Berliner Sternwarte und des 1874 gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, das sich als erstes Institut weltweit ausdrücklich der Astrophysik widmete. Seit 1992 ist das AIP Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.
Letzte Aktualisierung: 29. Juli 2021