Fernes Sternenlicht enträtseln

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NGC 300.

Bild: AIP/M. M. Roth
31. Januar 2019 //

Mit bloßem Auge sehen sie höchstens wie verschwommene Lichtpunkte aus, tatsächlich bestehen entfernte Galaxien aus Milliarden von Sternen und anderen astronomischen Objekten. Teleskope sind selten leistungsfähig genug, um die einzelnen Sterne in diesen Galaxien zu untersuchen. Ein Wissenschaftlerteam um Prof. Dr. Martin Roth vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) hat nun das MUSE-Instrument am Very Large Telescope (VLT) der ESO verwendet, um die Sterne in der Spiralgalaxie NGC 300 aufzulösen.

Vor 400 Jahren war Galileo Galilei der erste Mensch, der ein Teleskop in den Himmel richtete und bewies, dass das dunstige Band der Milchstraße tatsächlich aus unzähligen einzelnen Sternen besteht. Die Astronomie hat sich seitdem weit entwickelt: heutzutage betrachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur die Sterne, sondern analysieren auch ihre chemische Zusammensetzung, messen ihre Rotation und Geschwindigkeit im Weltraum und bestimmen viele andere physikalische Parameter, um mehr über das Universum zu erfahren. Die Technik, die diese Wechselwirkung von Materie und Licht untersucht, nennt man Spektroskopie.

Eine Weiterentwicklung, die seit etwa 25 Jahren Anwendung findet, ist die Integral-Feldspektroskopie. Mit ihr können Astrophysiker in nur einer Aufnahme eine 3D-Ansicht einer Galaxie erhalten. Sie verwendet eine Integral Field Unit (IFU), um das Gesichtsfeld in viele Pixel aufzuteilen, von denen jedes einzelne nicht nur einen Helligkeitswert, sondern ein komplettes Spektrum aufzeichnet. Das Ergebnis ist daher ein Datenkubus, das heißt gewissermaßen ein „Stapel“ von Bildern, jedes bei einer anderen Wellenlänge. Die Pixel werden in diesem Fall eher liebevoll "Spaxel" genannt.

Die zu dieser Zeit entwickelten integralen Feldspektrographen – wie beispielsweise das Potsdamer Multi-Apertur-Spektrophotometer (PMAS) [1] – verfügten nach heutigen Maßstäben noch über eine sehr geringe Spaxelzahl. PMAS zum Beispiel hat nur 256 Spaxel, eine moderne Handykamera hingegen etwa 10 bis 15 Millionen Pixel. Einen entscheidenden Fortschritt bedeutete 2014 die Installation von MUSE, des Multi Unit Spectroscopic Explorer, am VLT der ESO in Chile. Das AIP ist maßgeblich an der Entwicklung dieses Instruments beteiligt gewesen. MUSE beherbergt unglaubliche 90.000 Spaxels und verfügt über eine hervorragende Empfindlichkeit.

Über die Grenzen der Milchstraße hinaus

Der Hauptzweck von MUSE besteht darin, den Ursprung und die Entwicklung des Universums insgesamt zu untersuchen. Im Rahmen der für das MUSE-Konsortium zur Verfügung gestellten garantierten Beobachtungszeit beantragte Martin Roth, Abteilungsleiter von innoFSPEC am AIP, die Verwendung des neuen Instruments, um die Einzelsterne in der Spiralgalaxie NGC 300 zu beobachten. Ähnliche Beobachtungen waren bereits für nahe Galaxien in der so genannten Lokalen Gruppe durchgeführt worden, jedoch nicht für Galaxien, die weiter entfernt sind – wie etwa NGC 300. Sechs Millionen Lichtjahren von der Milchstraße entfernt liegt  sie außerhalb der Lokalen Gruppe und ist eine „typische“ Spiralgalaxie.

Dank des leistungsfähigen Instruments und einer speziell entwickelten Software [2] [3] konnte das Team in NGC 300 einzelne Sterne mit hoher Klarheit erkennen sowie gasförmige Regionen, Supernova-Überreste, planetarische Nebel und ionisierte Wasserstoffregionen. Sogar weit entfernte Hintergrundgalaxien waren schwach durch die Galaxie hindurch erkennbar [4]. Denn das Besondere an MUSE ist, dass es Licht mit einem breiten Wellenlängenbereich betrachten kann, wodurch viele verschiedene Objekte und Farben sichtbar werden.

Technologische Zukunftspläne für die Erforschung galaktischer Vergangenheit

Die Forscherinnen und Forscher hoffen, auch mit anderen Instrumenten eine Vielzahl von Sternen im Detail untersuchen zu können. Unter Federführung des AIP baut derzeit ein internationales Konsortium für ESO das Instrument 4MOST, das die Spektroskopie von bis zu 2400 einzelnen Sternen pro Einzelbelichtung in der Milchstraße ermöglichen soll. Das Ziel ist es, Stichproben von Millionen von Sternen zu erheben, um die Entstehungsgeschichte und Entwicklung unserer Galaxie zu erforschen. Es handelt sich um ein dynamisches Forschungsgebiet, das mitunter auch als "galaktische Archäologie" bezeichnet wird.  In Analogie hierzu ebnen nun die Arbeiten mit MUSE in der viel weiter entfernten Galaxie NGC 300 den Weg zur „extragalaktischen Archäologie“. Die enorme Lichtsammelleistung des zukünftigen Extremely Large Telescope (ELT) der ESO, verbunden mit der durch adaptive Optik ermöglichten extrem scharfe Bildgüte, verspricht für dieses neue Forschungsgebiet außerordentlich interessante Entwicklungsperspektiven [5].

Referenzen:

[1] Roth, M.M., Kelz, A., Fechner, T., Hahn, T., Bauer, S.-M., Becker, T., Böhm, P., Christensen, L., Dionies, F., Paschke, J., Popow, E., Wolter, D., Schmoll, J., Laux, U., Altmann, W. 2005, "PMAS: The Potsdam Multi-Aperture Spectrophotometer. I. Design, Manufacture, and Performance", PASP 117, 620

[2] Kamann, S., Wisotzki, L., Roth, M. M. 2013, “Resolving stellar populations with crowded field 3D spectroscopy”, A&A 549, 71

[3] Husser, Tim-Oliver, Kamann, Sebastian, Dreizler, Stefan, Wendt, Martin, Wulff, Nina, Bacon, Roland, Wisotzki, Lutz, Brinchmann, Jarle, Weilbacher, Peter M., Roth, Martin M., Monreal-Ibero, Ana 2016, MUSE crowded field 3D spectroscopy of over 12 000 stars in the globular cluster NGC 6397. I. The first comprehensive HRD of a globular cluster, A&A 588, A148

[4] Roth, M. M., Sandin, C., Kamann, S., Husser, T.-O., Weilbacher, P. M., Monreal-Ibero, A., Bacon, R., den Brok, M., Dreizler, S., Kelz, A., Marino, R.A., Steinmetz, M. 2018, MUSE crowded field 3D spectroscopy in NGC300 I. First results from central fields, A&A 618, A3

[5] An Expanded View of the Universe -  Science with the  European Extremely Large Telescope, European Souther Observatory, Garching 2010, Hrsg. Mariya Lyubenova & Markus Kissler-Patig

Weitere Informationen

https://www.eso.org/public/products/brochures/brochure_0025/

Die Entwickung der Instrumente PMAS, MUSE, und 4MOST wurde bzw. wird gefördert durch die Verbundforschung des BMBF.

Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) widmet sich astrophysikalischen Fragen, die von der Untersuchung unserer Sonne bis zur Entwicklung des Kosmos reichen. Forschungsschwerpunkte sind dabei kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik sowie die Entwicklung von Forschungstechnologien in den Bereichen Spektroskopie, robotische Teleskope und E-Science. Seinen Forschungsauftrag führt das AIP im Rahmen zahlreicher nationaler, europäischer und internationaler Kooperationen aus. Das Institut ist Nachfolger der 1700 gegründeten Berliner Sternwarte und des 1874 gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, das sich als erstes Institut weltweit ausdrücklich der Astrophysik widmete. Seit 1992 ist das AIP Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.
Letzte Aktualisierung: 1. April 2021