Blick durchs Schlüsselloch – erste Datenveröffentlichung von eROSITA

Heller Fleck in der Mitte, überall über den Ausschnitt des Nachthimmels verteilt grün-blaue Flecken

Der Pulsar PSR B0656+14, ein rotierender Neutronenstern, ist das helle Objekt in der Mitte dieser Aufnahme, die länger als einen Tag belichtet wurde. Der Stern hat eine Entfernung von etwa 900 Lichtjahren von der Erde. Er rotiert rund drei Mal pro Sekunde um seine eigene Achse und zeigt dabei Eigenschaften, die mit eROSITA zum Teil erstmals beschrieben bzw. vermessen werden konnten.

Bild: AIP/J. Kurpas, AIP/A. Schwope
28. Juni 2021 //

Die eROSITA-Kollaboration gibt den ersten Satz von Daten des Röntgenteleskops eROSITA als „Early Data Release“ für die Forschung weltweit frei. Zeitgleich erscheinen 35 wissenschaftliche Veröffentlichungen mit Ergebnissen der ersten Missionsphase. Forschende des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) waren an einem Drittel der Arbeiten wesentlich beteiligt, lieferten Teile der Software zur Datenauswertung, analysierten Beobachtungen von Neutronensternen und Weißen Zwergen sowie die Auswirkungen von Röntgenstrahlen auf die Atmosphären junger Exoplaneten.

Ausschnitte des Nachthimmels, zwei Bildteile

Das “eFEDS” (the eROSITA Final Equatorial Depth Survey) genannte Feld wurde als Testfeld für die finale Himmelsdurchmusterung mit eROSITA ausgewählt. Das obere Teilbild zeigt alle gefundenen Quellen, farbkodiert nach ihrer Energie. Das kleine Teilbild stellt einen Zoom auf einen Superhaufen dar, eine Ansammlung einzelner Galaxienhaufen, die im Begriff sind, zu verschmelzen.

Im unteren Teilbild wurden alle Punktquellen (Sterne, Schwarze Löcher) entfernt. Übrig bleibt die diffuse Strahlung von Galaxienhaufen im Hintergrund und dem Halo der Milchstraße im Vordergrund. Das Bild gibt damit einen Eindruck der großräumigen Struktur des Universums im Röntgenlicht.

Bild: eROSITA Kollaboration, Brunner et al., Liu et al.

Am 14. Juli 2019 machte sich das deutsche Röntgenteleskop an Bord des russischen Satelliten Spektrum-Roentgen-Gamma (SRG) auf den 1,5 Millionen Kilometer langen Weg zu seiner endgültigen Beobachtungsposition. Ein knappes halbes Jahr später nahm es seinen Regelbetrieb auf und tastet seitdem den gesamten Himmel auf der Suche nach neuen Röntgenquellen ab. Damit ermöglicht es eine Inventur des Röntgenhimmels mit nie dagewesener Genauigkeit und Empfindlichkeit.

Schon auf dem Weg zur endgültigen Beobachtungsposition führte eROSITA etwa 100 Beobachtungen an verschiedenen Objekten und Himmelsfeldern durch, die nun der weltweiten Astronomiegemeinde frei zur Verfügung gestellt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten auf einer Pressekonferenz am 28. Juni bei der Jahrestagung der Europäischen Astronomischen Gesellschaft (EAS) über erste Ergebnisse dieser Beobachtungen aus der Frühphase der Mission, die sie in Fachpublikationen in einer Spezialausgabe der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlichen.

Forschende am AIP tragen federführend vier eigene Publikationen zu den Veröffentlichungen bei und sind an insgesamt einem Drittel dieser Arbeiten maßgeblich beteiligt. Ein Schwerpunkt der jetzt vorgestellten Arbeiten galt der Durchmusterung eines relativ kleinen Himmelsareals von etwa einem 300stel der Fläche des gesamten Himmels. Der Ausschnitt wurde mit derselben Empfindlichkeit beobachtet, die die Durchmusterung erst in einigen Jahren für den gesamten Himmel erreicht. Über 30.000, zuvor meist unbekannte Objekte, wurden darin gefunden. Die neuen Entdeckungen reichen von nahen einzelnen Sternen über Kannibalensterne, die ihren Nachbarn Materie entziehen, und massereichen Schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien bis hin zu Galaxienhaufen, den größten gravitativ gebundenen Strukturen im Universum. „Die Analyse dieses Testfeldes ist für uns wie ein Blick durchs Schlüsselloch. Bald schon jedoch wird die Tür aufgehen und wir werden die ganze Pracht entdecken“, sagt Georg Lamer, Projektwissenschaftler am AIP, der die Software zur Entdeckung der Röntgenquellen beigesteuert hat.

Beobachtung des Neutronensterns PSR B0656+14 mit eROSITA im Zeitraffer. Die Gesamtbeobachtung von etwa 28 Stunden wird in 25 Sekunden zusammengefasst. Im ersten Teil ist der ununterbrochen eintreffende Strom von Photonen quasi in Echtzeit zu sehen (Momentaufnahmen). Im zweiten Teil des Videos ist das sich allmählich aufbauende tiefe Bild des Röntgenhimmels dargestellt (Langzeitaufnahme). Das Ziel der Beobachtung war das helle Objekt in der Bildmitte, von dem rund 800,000 Photonen gesammelt wurden. In der Umgebung blitzen kurzzeitig für einige Stunden immer wieder Röntgenquellen auf (Pfeilmarkierungen). Dabei handelt es sich wahrscheinlich um Strahlungsausbrüche auf sonnenähnlichen Sternen.
Credit: eROSITA-Kollaboration, AIP/A. Schwope,I. Traulsen, G. Lamer

Spezialität des Projektleiters am AIP, Axel Schwope, sind extrem kompakte Objekte, Neutronensterne und Weiße Zwerge, die eROSITA detailliert in der ersten Missionsphase beobachtete. Eine der Beobachtungen, die mehr als einen Tag andauerte, lieferte das Bild eines Neutronensterns, der eine Oberflächentemperatur von bis zu 1,5 Millionen Grad erreicht und deshalb hell im Röntgenlicht strahlt. „Die Analyse dieser extrem langen Beobachtung hat völlig neue Merkmale im Spektrum des Sterns gezeigt, die theoretisch noch völlig unverstanden sind“, zeigt sich Axel Schwope begeistert. „Neue Phänomene, neue Objekte und neue Physik wird eROSITA im Konzert mit anderen Teleskopen aufzeigen und ermöglichen“.

Auch völlig andere astronomische Objekte können mit eROSITA erforscht werden. So hat Grace Foster, die an ihrer Doktorarbeit in der AIP-Abteilung von Prof. Katja Poppenhäger forscht, die Röntgenbestrahlung von Planeten in anderen Sonnensystemen, den sogenannten Exoplaneten, untersucht. „Wenn Exoplaneten von ihrem Zentralstern im Röntgenbereich stark bestrahlt werden, können sie Teile ihrer Atmosphäre verlieren. Für kleinere Exoplaneten kann sogar die komplette Atmosphäre verkochen“, erklärt Grace Foster.

eROSITA (kurz für „Extended Roentgen Survey with an Imaging Telescope Array“) ist ein Röntgenteleskop, das von einem deutschen Konsortium unter der Leitung des MPE gebaut wurde. Das AIP trägt Software zur Datenauswertung bei, wobei der Schwerpunkt auf der Lagebestimmung des Satelliten und der Detektion der Röntgenquellen am Himmel liegt. Das AIP lieferte auch Flughardware für die Filterräder der Kamera und die gesamte Ausrüstung des mechanischen Bodensegments für die Integration und die Tests des Röntgenteleskoparrays.

Das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) widmet sich astrophysikalischen Fragen, die von der Untersuchung unserer Sonne bis zur Entwicklung des Kosmos reichen. Forschungsschwerpunkte sind dabei kosmische Magnetfelder und extragalaktische Astrophysik sowie die Entwicklung von Forschungstechnologien in den Bereichen Spektroskopie, robotische Teleskope und E-Science. Seinen Forschungsauftrag führt das AIP im Rahmen zahlreicher nationaler, europäischer und internationaler Kooperationen aus. Das Institut ist Nachfolger der 1700 gegründeten Berliner Sternwarte und des 1874 gegründeten Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, das sich als erstes Institut weltweit ausdrücklich der Astrophysik widmete. Seit 1992 ist das AIP Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.
Letzte Aktualisierung: 29. Juni 2021